Ein Einbrecher hebelt mit einem Brecheisen eine Tür im Keller eines Hauses auf. (Symbolbild)

Hessen Einbruchsserie in Bad Vilbel raubt Anwohnern den Schlaf: Polizei lässt Verdächtigen laufen

Stand: 27.04.2024 19:37 Uhr

Für seine vorbildlichen Sicherheitsmaßnahmen ist Bad Vilbel gerade erst vom Land Hessen mit einem Preis ausgezeichnet worden. Doch jetzt herrscht in der Stadt eine Einbruchswelle. Bewohner melden den mutmaßlichen Täter der Polizei, passiert ist seither aber wenig.

Von Sara Willems

Fast 400.000 Straftaten wurden im vergangenen Jahr in Hessen registriert. Knapp 8 Prozent mehr als 2022, wie aus der zuletzt von Innenminister Roman Poseck (CDU) vorgestellten Kriminalstatistik hervorgeht.

Für gezielte Sicherheitsmaßnahmen in den Kommunen hat das Land bereits vor einigen Jahren ein Präventionsprogramm namens Kompass ins Leben gerufen und zeichnet regelmäßig erfolgreich teilnehmende Städte aus. Erst im Februar übergab Poseck dem Bürgermeister von Bad Vilbel, Sebastian Wysocki (CDU), das Kompass-Sicherheitssiegel. Doch nun wird die Gemeinde im Wetteraukreis vor den Toren Frankfurts von einer Einbruchswelle überrollt.

Einbrecherjagd in Whatsapp-Gruppe

Ein Betroffener ist Elias Hermann (richtiger Name bekannt; von der Redaktion geändert). Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern im Bad Vilbeler Neubaugebiet Quellenpark. Das Quartier befindet sich noch im Aufbau und spricht mit der Mischung aus Reihen- und Mehrfamilienhäusern vor allem Familien an. Um sich gegenseitig austauschen zu können, gibt es eine Whatsapp-Gruppe für Bewohner des Viertels. Die Einbruchsserie ist hierin mittlerweile das Dauerthema. Die Mitgliederzahl in der Gruppe ist auf fast 250 angestiegen.

Am 4. April um 3:39 Uhr schreibt ein Anwohner in die Gruppe: "Es ist wieder jemand unterwegs. Polizei sucht ihn." Am Morgen darauf teilen verschiedene Bewohner Bilder ihrer Überwachungskameras, die alle denselben Mann zeigen, wie er sich an den Haustüren zu schaffen macht. "Der ist ja echt jedes Haus abgelaufen“, schreibt eine Person. Ein anderer Bewohner teilt ein Bild der letzten Nacht und eines von wenigen Tagen zuvor: Auf beiden ist dieselbe Persone zu sehen, wie sie versucht, in Häuser einzubrechen.

Bargeld, Kopfhörer, EC-Karte erbeutet

Dann kommt die Nachricht von Elias Hermann: "Hallo zusammen, wir gehören zu den Betroffenen des Einbrechers von heute gegen drei Uhr morgens." Während alle Familienmitglieder oben schlafen, erbeutet der Täter im Haus einen Geldbeutel mit fast 200 Euro Bargeld und Kopfhörer, dann zieht er schon weiter. Mit der EC-Karte werden später zwei Packungen Zigaretten gekauft, den Geldbeutel findet die Stadtreinigung in einem Mülleimer.

Hermann selbst hat keine Überwachungskamera. Am Haus nebenan wird der Einbrecher in dieser Nacht um 3:04 Uhr aufgezeichnet. Hier bleibt der Einbruchsversuch noch erfolglos.

Täter ermittelt, aber weiterhin auf freiem Fuß

Die Einbrüche - versuchte sowie erfolgreiche - melden die Bewohner des Viertels der Polizei. Sämtliche Bilder und Videos der privaten Überwachungskameras werden ebenfalls übermittelt. Auch Hermann steht mit den Beamten in Kontakt. Tage nach dem Einbruch Anfang April berichtet er in der Whatsapp-Gruppe, er habe mit einem Mitarbeiter der zuständigen Kriminalpolizei geredet. Dieser habe ihm erklärt, dass der Täter zwar ermittelt werden konnte, aber erst mal keine Sofortmaßnahmen getroffen werden würden.

Bei den Bewohnern sorgt das für Unverständnis. Das Strafgesetzbuch sieht für Einbruchsdiebstähle in privat genutzten Wohnungen eine Haftstrafe von mindestens einem Jahr vor. Viele fordern: Der Kriminelle gehört in U-Haft. Schon allein, um nicht weiteren Einbrüchen nachgehen zu können. Auf Nachfrage teilen die zuständige Polizei und Staatsanwaltschaft dem hr mit, dass die Ermittlungen noch andauerten und aus ermittlungstaktischen Gründen gegenwärtig keine weiteren Informationen zu dem Täter oder den Tätern mitgeteilt werden könnten.

U-Haft nur bei besonders schweren Straftaten

Wieso es in einem solchen Fall gar nicht ungewöhnlich ist, dass ein mutmaßlicher Täter erst einmal weiterhin frei herumläuft, erklärt hr-Gerichtsexpertin Heike Borufka: Bis zur Verurteilung gelte prinzipiell die Unschuldsvermutung. Erst wenn im Hauptverfahren die Staatsanwaltschaft eine Schuld nachweise, könne es zu einer Verurteilung und einer Haftstrafe kommen.

Eine Untersuchungshaft könne man nicht als vorweg genommene Haftstrafe verstehen. Sie diene immer dazu sicherzustellen, dass der Beschuldigte in der Verhandlung anwesend ist und das Hauptverfahren durchgeführt werden kann.

"Um einen Haftbefehl zu beantragen, braucht es als Voraussetzung den dringenden Tatverdacht und einen Haftgrund", erklärt Borufka. Dazu müsse mindestens eine der drei Bedingungen erfüllt sein: Fluchtgefahr, Verdunklungsgefahr oder Wiederholungsgefahr.

Druck auf Bürgermeister und Polizei

Die Gefahr der Wiederholung sehen die Anwohner als gegeben. Immerhin haben verschiedene Sicherheitskameras denselben Mann an mehreren Tagen bei Einbruchsversuchen aufnehmen können. Ihren Unmut tun sie deshalb auch in E-Mails an Bürgermeister Wysocki kund und fordern: Er habe das vom Land verliehene Sicherheitssiegel angenommen, jetzt müsse er auch etwas dafür tun.

Wysocki reagiert auf die Forderungen. Als Bürgermeister sei er zwar nicht für die Strafverfolgung zuständig. Nichtsdestotrotz versichert er, im engen Austausch mit der örtlichen Polizei zu stehen. Die Besorgnis der Anwohner könne er gut verstehen und "teilt deren Sorge um die Sicherheit im Quartier".

Auch die Polizei teilt mit, es würden "im Bereich Quellenpark zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten verstärkt Streifenfahrten durch uniformierte und zivile Kräfte durchgeführt". Darüber hinaus gebe es verschiedene Beratungsangebote der Polizei, zum Beispiel um Schwachstellen des Wohnhauses zu analysieren. Eine Schutzfrau vor Ort will sich den Bewohnern für Fragen zur Verfügung stellen.

Zu viele Einzelfälle

Trotz dieser Zusicherungen fühlt Einbruchsopfer Elias Hermann sich nicht sicher. "Am Ende ist es ja nicht nur der finanzielle Schaden, sondern dass jemand im Haus war. Und das auch noch, als wir daheim waren." Hermann fragt sich: "Was wäre denn gewesen, wenn ich nicht oben geschlafen hätte, sondern dem Einbrecher begegnet wäre?“

Im Bereich Überwachung hat der Hausbesitzer jetzt aufgerüstet und sich eine Sicherheitskamera und eine Alarmanlage gekauft. In der Whatsapp-Gruppe tauschen sich die Bewohner über Modelle und technische Details von Sicherheitsequipment aus. Viele erzählen, sie fühlten sich derzeit nicht wohl.

Der Justiz zu vertrauen, fällt auch Hermann schwer, erzählt er. Vor sechs Jahren ist sein ältester Sohn Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls geworden. Die beiden Täter, damals 16 und 22 Jahre alt, seien vorbestraft gewesen. Zu einer Verurteilung sei es nie gekommen. Ein Gerichtsprozess sei einmal angesetzt worden, habe wegen Corona aber verschoben werden müssen.

Seitdem wartet Hermann darauf, dass noch etwas passiert. Dass sich nun in der Einbruchssache nichts Offensichtliches tue, ärgert ihn. "Es sind mir einfach viel zu viele Einzelfälle. Ich habe hier schon den zweiten Einzelfall erlebt und möchte nicht, dass es wieder sechs Jahre oder länger dauert." Er fühlt sich von der Justiz im Stich gelassen.

Endlich wieder in Ruhe schlafen

Hermann fordert, dass sich jetzt bald etwas tut: "Es kann nicht sein, dass das Recht eines Einzelnen, der auch noch Täter ist, mehr wert ist als das Recht auf Unversehrtheit der Wohnung von Hunderten. Wir Opfer müssen auch geschützt werden." Erst dann könnten alle wir wieder in Ruhe schlafen.

Hermanns Fall ist nur ein Beispiel. Die Nachrichten der Einbrüche und Diebstähle häufen sich in der Nachbarschaftsgruppe. Ob alle Fälle dabei auf denselben Täter zurückgehen, ist nicht ganz klar. Nicht jeder hat eine Überwachungskamera, manchmal sind die Bilder unscharf.

Die Bandbreite der Taten ist groß: Einbrüche über die geöffnete Terassentür im ersten Stockwerk am frühen Abend, geklaute Autoreifen, geklaute E-Bikes, geklaute Elektrogeräte. Und auf jeden geglückten Diebstahl kommen noch viel mehr gescheiterte Versuche.

Freitag: Einbrecher schlagen erneut zu

Erst an diesem Freitag, den 26. April, wird die Polizei erneut in den Quellenpark gerufen. Diesmal haben Diebe versucht, Lastenräder aus einer Häusereinfahrt zu stehlen. Am Nachmittag meldet sich wieder Elias Hermann im Gruppenchat. "Wer hat Filmaufnahmen von dem Einbrecher von gestern Nacht? Er hat bei unseren Nachbarn eingebrochen und es bei uns wieder versucht. Wenn es wieder der gleiche ist, muss das zuständige Gericht endlich handeln!"